29. Oktober 2018
Dass das Programm des Abschlusskonzerts bei der Herbstausgabe des diesjährigen :alpenarte-Festivals einen vollen Saal hervorrufen würde, stand fast schon von Anfang an fest und bewahrheitete sich am Sonntagabend im Angelika-Kauffmann-Saal in Schwarzenberg. Denn mit drei großen Meisterwerken der Romantik und frühen Moderne des 20. Jahrhunderts aus Russland hatte man den Nerv eines musikliebenden Kammermusikpublikums getroffen. Andrei Ioniţă, der Cellist und verantwortliche Intendant dieses Oktober-Festivals in Schwarzenberg, ließ die Streicher und die junge Pianistin Daria Ioana Tudor Werke von Sergej Rachmaninow, Dmitri Schostakowitsch und Peter Tschaikowsky, seine „Lieblingswerke der Kammermusik“ wie er zugab, spielen. Entsprechend war dieses Konzert wohl auch für ihn das emotionalste dieser :alpenarte-Ausgabe. Und so war bereits vor Beginn des Konzerts eine erwartungsvolle Spannung im Publikum zu spüren.
Am Anfang des Programms stand das Klaviertrio Nr. 1 „élégiaque“ von Rachmaninow, gespielt von Alexandra Paladi (Violine), Vashti Hunter (Cello) und Daria Ioana Tudor (Klavier). Dieses spätromantische Werk von 1892 folgt der Idee einer nationalrussischen Musiksprache, die von Mikhail Glinka aufgebracht worden war, nachdem man lange Zeit dem Geschmack des westeuropäischen Publikums gefolgt war. Entsprechend elegisch (wie der Name des Trios schon lautet) hat der gerade einmal 18-jährige Rachmaninow das Trio dann auch gestaltet. Die Musikerinnen gestalteten den großen dramatischen Bogen dieses Werks geschickt, ohne der Gefahr zu erliegen, den emotionalen Ausdruck schwülstig werden zu lassen.
Sicherlich spielen die Werke Dmitri Schostakowitschs für Andrei Ioniţă eine wichtige Rolle, denn immerhin hatte er mit Werken dieses russischen Modernisten einige Runden des für ihn wichtigen Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau bestritten, aus dem er als Sieger hervorging. Schostakowitschs Klaviertrio Nr. 2 ist dem Musikwissenschaftler Iwan Sollertinsk, einem engen Freund des Komponisten gewidmet, der kurz zuvor verstarb. Doch es waren ohnehin schwere Zeiten, denn das Klaviertrio entstand 1944, mitten im 2. Weltkrieg. Und entsprechend drückt dieses Trio all die Betroffenheit dieser schweren Zeit aus, beginnend mit dem beängstigend erklingenden Trauermarsch-Thema zu Beginn des Werks. Christel Lee (Violine), Andrei Ioniţă (Cello) und Daria Ioana Tudor (Klavier) fanden in jedem Satz zu einem neuartigen, persönlichen und letztendlich vor allem durchweg tief emotionalen Ausdruck. Die wechselnden Gemütszustände innerhalb der Musik, von Trauer und Melancholie bis hin zu Wutausbruch und tiefem Sarkasmus erkannte das Publikum in dieser Interpretation so deutlich, dass es tief bewegt von dieser Musik langen Applaus spendete.
Andrei Ioniţă hatte – abgesehen von der Musik und dem Zuspruch des Publikums – ohnehin einen emotionalen Abend am Ende seiner Intendanz in Schwarzenberg: „Es gab keine negativen Dinge, es war großartig, wie die Künstler sich verstehen. Wir haben unser bestes gegeben, um die Musik noch besser zu machen. Dies Festival war etwas Besonderes für mich“, erklärte er auf der Bühne. Die Freiheit das Programm so zu gestalten wie er es wollte, sprang in jedem Fall auf das Publikum über.
Am Abschluss des Festivals dann ein schwelgerisches Werk des großen Peter Tschaikowsky, das Streichsextett „Souvenir de Florence“, das das Publikum endgültig von diesem Festival, den Musikerqualitäten und der Programmwahl überzeugte. Standig Ovations und brausender Applaus führten zu einer Zugabe: Andrei Ioniţă spielte mit den Musikern eine Bearbeitung des „Andante Cantabile“ aus dem großen Es-Dur-Streichquartett von Tschaikowsky. Und so verabschiedete sich der rumänische Cellist als großartiger Solist, nach dessen Aufführung er einige Sekunden in völliger Stille mit den Tränen rang, bevor die Zuhörer nochmals die Spieler feierten.
Die Herbstausgabe des Festivals :alpenarte fand mit diesem Abend einen grandiosen Abschluss, einen, der zeigte, dass dieses Festival in seiner Idee, jungen Musikern die Chance der Programmgestaltung und der Musikauswahl zu übergeben, aufgeht. Dass in diesem Jahr fast 1000 Zuhörer nach Schwarzenberg gekommen sind, um diese vier Konzerte anzuhören, ist ein Zeichen, dass sich :alpenarte zu einem Magneten frischer und moderner Kammermusikdarstellung entwickelt. Zudem werden Musiker präsentiert, die schon weltweit unterwegs sind, aber noch nicht die großen Namen führen, wie man sie in angestammten Serien allerorten erleben kann. Und diese Entdeckungsfreude – für Musiker und Werke – ist eines der Grundelemente, die :alpenarte seine Besonderheit verleiht.