29. Oktober 2018
Was wissen wir über die Kultur- bzw. Musikszene in Rumänien? Kaum etwas, muss man wohl zugeben müssen. Umso spannender war es, dass der Intendant der diesjährigen Herbstausgabe des Festivals :alpenarte in Schwarzen-berg, der rumänische Cellist Andrei Ioniţă, im Samstagskonzert seine Heimat in den Fokus rückte. Ein Komponist wie George Enescu ist uns vielleicht noch ein Begriff, wenn auch wahrscheinlich eher als Geigenvirtuose denn als Tonschöpfer. Und dass der Ungar Béla Bartók den meisten Musikinteressierten dem Namen nach bekannt ist, aber kaum durch seine Musik, ist ebenfalls klar. Dass er in dieses Programm passte, liegt daran, dass er sich in seiner Musik auch intensiv mit der Volksmusik Rumäniens auseinandersetzte. Und es war ein abwechslungsreiches Konzert-programm, das die Hörer erwartete, eines, das nicht nur die Kammermusik, sondern auch die solistischen Fähigkeiten einiger Musiker aufzeigte. Aber ein Element war in jedem Werk zu hören, das sich vielleicht am besten mit dem Wort erklären lässt, das Ioniţă dem Programm vorangestellt hatte: Dor. Dieses rumänische Wort bedeutet Sehnsucht gleichermaßen wie Melancholie und viele andere Emotionen, die man mit der Heimat verbindet.
Wie am Vortag startete das Programm mit einem Werk für Klarinette solo, der 1963 geschriebenen „Klarinettensonate“ von Tiberiu Olahs, das Pablo Barragán mit so viel Atmosphäre zu gestalten wusste und bei allen technischen Hürden bewies, welch ein Meister an seinem Instrument er ist, dass das Publikum erstaunt lauschte. Dass dieses Werk ein Bild der rumänischen Mythologie heraufbeschwört, den „goldenen Vogel“, ist nur denjenigen klar gewesen, die Irina Paladis Einführung zum Konzert zugehört hatten. Die Tochter eines der zu hörenden Komponisten an diesem Abend hatte vor dem Konzert emotional bewegt über dieses Programm gesprochen. Im Konzert erklärte dann Ioniţă Einiges über die Musik … Der musikalische Stab des Solospiels ging dann auch über an die 21-jährige rumänische Pianistin Daria Ioana Tudor, die erst einige Wochen zuvor eingesprungen war für den ursprünglich geplanten Pianisten Daniel Ciobanu. Doch welch ein Ersatz! George Enescus „Toccata“ aus dessen Suite Op. 10 spielte sie mit emphatischem Gespür für den größten Komponisten ihrer Heimat. Und ebenso brillant konnte sie die Glocken-spielklänge in „Carillion Nocturne“ von Enescu mit ihren Tonüberlagerungen darstellen. Das Stück „Rondo a capriccio“ von 1954 des genannten Radu Paladi war dann ein Stück, in dem sich späte Romantikempfindungen mit einem Impressionismus verbindet, der zu dieser Zeit in Rumänien sicherlich nicht üblich war. Und auch hier fand die junge Tudor zu einer geschmackvollen Ausschmückung des vor Witz und Ironie funkelnden Werks. Der begeisterte Applaus für das Können dieser jungen Künstlerin war ehrlich und beherzt.
Danach folgten rumänische Stücke von Béla Bartók. Zuerst spielten die beiden Bratschistinnen Karolina Errera und Nilay Özdemir einige der Duos für zwei Violinen im Arrangement für ihre Instrumente. Schon hier hörte man deutlich die rumänische Tanzmusik, die aber noch schärfer in den Originalen von Bartóks „Duos“ zutage traten, als die zwei Geiger Jonian-Ilias Kadesha und Christel Lee sie spielten. Immerhin sind diese Tänze in der Regel von Zigeunergeigern angestimmt worden. Und dass das Publikum nach jedem der Duos applaudierte, bewies, wie direkt diese Musik auf die Seele des Zuhörers wirkt.
Darauf erklang ein Herzensstück von Andrei Ioniţă: die 6 rumänischen Volkstänze Op. 6 von Bartók für Cello und Klavier. Hier fand er wieder einmal zu einer Ausdruckintensität am Cello, die immer dann aufkommt, sobald er sein Instrument in die Hand nimmt: er verschmilzt als Interpret kongenial mit seinem Instrument, der Musik und den Ideen des Komponisten. Und so kommt es zu intensivsten musikalischen Darstellungen, die auf das Publikum überspringen.
Um dem Publikum die Musik und das Land Rumänien noch stärker zu vergegenwärtigen, setzten sich Irina Paladi und Andrei Ioniţă am Beginn der zweiten Konzerthälfte auf der Bühne auf ein Sofa, um über Ioniţăs Ideen und Gefühle zur Musik zu sprechen. Leider entglitt die Länge des Gesprächs ein wenig, da Irina Paladi sich in zu viele biografische Details verlor. Doch dann wurde doch noch über das folgende Streichquartett Nr. 1 von ihrem Vater Radu Paladi gesprochen. Doch eigentlich hätte es für solch ein monumentales Werk nicht vieler Worte bedurft. Es war eine wahre Entdeckung für die Zuhörer, dieses Streichquartett von 19h52–56, eine, die im Gedächtnis bleiben wird. Denn nur selten hört man modernere Streichquartette, die so viel Emotionen in einer neuartigen Harmonik verquickt mit spannungsgeladenen Rhythmen, die manches Mal auch tänzerische Elemente enthalten, aber vor allem vor Dramatik und fast schon improvisatorischen und folkloristischen Elementen nur so strotzen. Dabei ist dieses Werk extrem diffizil geschrieben, fordert die vier Streicher aufs Äußerste im Zusammenspiel, in der gemeinsamen Artikulation. Doch mit Alexandra Paladi an der ersten Geige, dem wunderbaren Violinisten Jonian-Ilias Kadesha als 2. Violine, der russischen Bratschistin Karolina Errara und Andrei Ioniţă am Cello avancierte diese Aufführung zu einem emotionsgeladenen Erlebnis. Und diejenigen, die nicht vor Ort waren, werden es irgendwann bereuen, denn nur selten wird dieses Werk aufgeführt, zudem in solcher Qualität. Dass das anwesende Publikum die Künstler mehrfach mit Applaus auf die Bühne rief, zeigte die Stärke der Musik und der Interpretation.